Der gute alte Baikal

Endlich war es soweit. Ich kam am späten Abend im -32° C kalten, schneeweissen Irkutsk an. Meine Gastgeberin hat mich freundlicherweise am Bahnhof abgeholt. Nach einer kurzen Begrüssung ging Sie mir über schneebedeckte Trottoirs voran. Ihr Haus ist glücklicherweise ganz in der Nähe des Bahnhofs. Dennoch, Sie wohnt etwas erhöht auf einem Hügel, quasi direkt oberhalb des Bahnhofes. Ich zog meinen Rucksack (welcher Rollen hat) hinter mir durch den Schnee. Über die matschige Strasse und dann geschultert die Treppen hoch. Verschneite Treppen mit ungleich hohen Stufen. Anfangs drohten mir meine Finger einzufrieren, doch bereits nach der ersten Treppe war mir so warm, dass ich den Reissverschluss meiner Jacke etwas öffnen musste. Aufgrund der eisigen Temperaturen begann mein Hals zu kratzen (durch die Nase atmen ging ja nicht, weil die Nasenlöcher jeweils den Eindruck erweckten, zusammenzufrieren). Was war ich froh, als wir dann die warme Wohnung betraten! So nebenbei, die Russen pflegen Ihre Wohnräume im Winter auf 25° C zu heizen, also genau meine Betriebstemperatur.

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Am nächsten Tag, ich glaube es war Montag, ging ich mich zu Fuss über die Brücke des dampfenden Angara Flusses in die Stadt. Ich wusste schon, dass es ein ordentlich langer Fussmarsch werden würde. Dass ich jedoch zweimal einkehren musste, um etwas heisses zu trinken, hätte ich nicht gedacht. Meine Gastgeberin sollte recht behalten, indem Sie mir sagte, dass meine Ledergefütterten(!) Schuhe nicht für den sibirischen Winter geeignet waren. Der Grossteil der Menschen, denen ich auf den Strassen begegnete trugen dicke Pelzstiefel. Vermutlich aus Rentier. Quasi ein Unisexmodell, welches etwas klobig daher kommt und am Stiefelrand traditionellerweise Verzierungen hat. Da wurde mir klar, dass ich ein Paar von diesen Stiefeln brauche. Immerhin wusste ich wo der Markt war, und da sollte sich bestimmt sowas finden lassen. In einem Kaufhaus fand ich dann “das Objekt der Begierde”. Nicht nur in Mitteleuropa ist es schwierig passende Schuhe in Grösse 42 zu finden, auch in Sibirien ist die Auswahl in diesen Dimensionen beschränkt. Schlussendlich gabs genau ein Paar dieser schwarzen Fellstiefel, welche an meine Füsse passen, als hätten sie auf mich gewartet. Da ich ja praktisch keine schwarzen Kleider besitze, hätte ich ja lieber ein Paar “nicht schwarze” gehabt. Aber was solls?!? Ich drückte ein Auge zu und kaufte für umgerechnet Fr. 70.- meine wahrscheinlich wärmsten Winterschuhe ever. Und dass die schwarze Farbe die Wärme der Sonne besonders gut annimmt und mir dadurch ein wohlig warmes Gefühl an den Füssen beschert, sollte ich am nächsten Tag am vereisten Ufer des Baikals begreifen.

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Ja, am Dienstag stand dann also mein lang ersehntes Rendez-vous mit dem guten alten Herrn Baikal an. Diesmal ersparte ich mir den knapp einstündigen Fussmarsch durch das Städtchen Irkutsk und fuhr bequem mit dem Tram zum Marktplatz. Glücklicherweise kann ich mir die Buchstaben des Kyrillischen Alphabetes einigermassen merken und suchte nach dem Minibus nach Lystvianka. Dieser eine Minibus stand genau vor mir, als ich den Busbahnhof betrat. Nachdem ich mich beim Fahrer versichert habe, dass es der richtige Bus ist, quetschte ich mich in den schrottreifen Minibus. Einmal tief Luft holen und dann die Beine zusammenklappen, damit ich diese möglichst Platzsparend für andere Passagiere parkieren kann. Nach etwa 40 Minuten Wartezeit bei laufendem Motor ging die Fahrt dann endlich los. Nach asiatischer Manier fuhr der Herr Chauffeur nonstop telefonierend mit dem hoffnungslos untermotorisierten Bus richtung Lystvianka los. Eine knappe Stunde später konnte ich durch die vereisten Fenster im Nebel den dampfenden See ausmachen.
Ein eisiger Wind blies mir um die Ohren, als ich dem Bus entstieg. Die Kaputze bis zum “Anschlag” über die Stirn gezogen, die seidenen Isolatonshandschuhe unter den eigentlichen Hansdschuhen montiert und als Schutz fürs Gesicht ein Kopftuch bis über die Nase hochgezogen. Ich fühlte mich kuschelig warm und spazierte dem See entlang. Das Wasser dampfte wie auch der Fluss in Irkutsk. Da und dort trieb der Wind eine einzelne Eisscholle vor sich her. Der See ist im Süden noch nicht gefroren. Ich hatte den Eindruck, dass dieser sich mit aller Kraft gegen den drohenden Eisdeckel wehrt. Eine urtümliche Ruhe und zufriedenheit überkam mich, als ich mich am Ufer dieses weltweit grössten Trinkwasserreservoirs aufhielt. Ich genoss die frische, kalte Luft, die Ruhe. Der Nebel, welcher ab und zu ein paar wärmende Sonnenstrahlen durchliess rundete diese mystische Stimmung wunderbar ab. Natürlich kehrte ich nicht nach Irkutsk zurück, ehe ich nicht einen Omul gegessen hatte. Dieser Fisch ist endemisch im Baikalsee und gehört in die Familie des Lachses.

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Gemütlich schlenderte ich nach dem wunderbar sättigenden Mittagessen zur Bushaltestelle, wo einer dieser Minibusse wartete. Diese Rückfahrt war um einiges angenehmer als die Hinfahrt, da dieser Fahrer sich auf die Strasse konzentrierte und uns alle behaglich und sicher nach Irktusk fuhr.

7 Gedanken zu “Der gute alte Baikal

  1. Hallo Susan,
    ziemlich abgefahren deine Reise nach Russland, im Winter. Bewundernswert. Sehr schöner Blog, vielen Dank auch für deinen Eintrag auf meiner Seite. Vielleicht lernen wir uns ja dieses Jahr mal auf der Alp kennen, wenn du nicht gerade unterwegs bist … hoffentlich bei milden Temperaturen.
    Viele Grüße, Sandra, eure Älplerin

  2. Danke für die imposanten Bilder und den tollen Bericht. Interessant, an deiner Reise auf diese Weise teilzuhaben. Mich schon wieder auf den Bericht freuend, Grüsse und beste Wünsche vu dä Fleischgässler

  3. Hallo Susan
    Ich liese dieni bricht au immer sehr gern. Isch sehr Spannend. Witerhin viel Spass Lg us Maur Lilian

  4. Herzlichen Dank, Susanne, für die regelmässigen, stets erstklassigen Berichte über deine interessanten Reisen. Weiterhin alles Gute. Take care of yourself!
    Grüsse vom Zürisee
    die Hegners

  5. Super interessant meine Liebe macht Spaß das zu lesen und dich ein Stück begleiten zu können freue mich schon auf das nächste Blatt 😀 Pass auf dich auf lg Sabrina

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