Game Over

Ein weiterer nahrhafter Dienst liegt hinter mir. Einer meiner gefühlt strengsten. Emotional.

An diesem Tag betreue ich den selben COVID-19 positiven Patienten wie am Vortag. Meine Kolleginnen und ich sind inzwischen routiniert in der Zusammenarbeit. Wir konzentrieren uns innerhalb des Viererzimmers auf unsere jeweiligen Patienten. Die Bauchlage der Patienten gehört mitunter zur Therapie für die Betroffenen. In unserem Spital werden nicht nur die inutbierten und somit im künstlichen Schlaf gehaltenen Patienten repetitiv für 16 Stunden auf dem Bauch gelagert, sondern auch diejenigen in Spontanatmung am Highflow Sauerstoff. Letztere allerdings nicht 16 Stunden am Stück. Ohne medikamentöse Hilfe schafft das keiner.Mein Patient ist im Rahmen seiner Erkrankung stabil und wir müssen ihm die Zeit für die Heilung seines Körpers geben. Das Gras wächst bekanntlich nicht schneller, wenn man daran zieht. So ist das auch mit dem Genesungsprozess bei COVID-19 Erkrankten. Und total nicht unserem bisherigen Denken von “weiter, höher, schneller” entsprechend werden wir hier zur Langsamkeit gezwungen.

Im Zimmer nebenan ist es laut und hektisch. Die Patienten dort sind nicht alle in stabilem Zustand. Instabilität kann viele Gesichter haben. Das reicht von akuten Fieberschüben aufgrund einer neu aufgetretenen Entzündung -irgendwo im Körper- über Kreislaufinstabilität bis hin zur Lebensbedrohlichen Atemnot. Meine KollegInnen sind gefordert. Und mittendrin kommt es zum Therapieabbruch.

Ein Therapieabbruch entspricht dem ausschalten der lebenserhaltenden Massnahmen. Ein Patient wird uns in den nächsten Stunden für immer Verlassen. Eine trauernde Familie wird bleiben. Die Patienten wie auch deren Angehörigen werden durch uns Pflegefachkräfte unterstützt.

Von dem Therapieabbruch bekomme ich im Rahmen der Pausenplanung (wer geht wann zum Essen) nur am Rande mit. Während meine Kolleginnen in der Pause sind, benötige ich ein Medikament für meinen Patienten und hoffe, dies im benachbarten Zimmer zu finden. Durch die Verbindungstüre husche ich hinüber in das andächtig ruhige Zimmer. Nichts von der Hektik, zwei Stunden zuvor ist zu spüren. Ein kurzer Blickkontakt mit meiner Kollegin sagt mir, dass es hier und jetzt ums sterben geht. Ich kenne ebendiesen Patienten. Da sitzen Angehörige am Bett und halten seine Hand. Er atmet leicht schnappend und dennoch ruhig. Das Beatmungsgerät wurde ausgeschaltet. Auf diesem letzten Weg gehen die Patienten ganz alleine. Sie atmen ihre letzen Atemzüge und wenn dieser aufgehört hat, wird auch das Herz stillstehen.

Es trifft mich, ihn beim sterben zu sehen. Es trifft mich, die Angehörigen an seinem Bett sitzen zu sehen. Urplötzlich wird mir bewusst, dass ich eine der letzten Personen war, die vor der Intubation mit ihm gesprochen hatte. Ich weiss nicht, wie viele Tage es her ist seit der Inubation. Eine Woche, vielleicht zehn Tage. Ich weiss es nicht. Es trifft mich. Den Tränen nahe verlasse ich das Zimmer. Die Trauer überkommt mich. Ein kurzer Moment… weinen mit der FFP Maske ist Scheissanstrengend! Und da liegt mein anderer Patient, der jetzt meine Hilfe und Unterstützung benötigt. Da ist diese Aufgabe, die ich jetzt zu erledigen habe. Und diese nehme ich wahr. Ich gebe mein bestes. Im Rahmen meiner Möglichkeiten.

Bei der Dienstübergabe zur Nachtschicht wird ein Neueintritt angekündigt. Es hört nicht auf. Kaum ist ein Bett frei, ist der Platz auch schon wieder belegt.

Zu Hause überkommt mich die Ohnmacht. Die Trauer. Die Müdigkeit. Ich fühle mich ausgelaugt. Die Tage und Wochen vermischen sich ineinander. Es ist ende Dezember 2020. Eine anstrengende Arbeitswoche liegt hinter mir.

Vor mir liegen fünf Freitage. Ich freue mich nicht. Irgendwie ist alles gleichgültig. Ich bin unsagbar müde. Der Kopf fühlt sich “matschig” an -und der Körper auch. Ich weiss, mein Körper und mein Kopf werden sich davon erholen. Doch heute an diesem ersten freien Tag ist da noch alles “matschig” und matt.

Ich vermute, dass es vielen von meinen direkten und indirekten ArbeitskollegInnen genauso oder ähnlich ergeht. Egal in was für einer Instituion diese Menschen arbeiten. Sie leisten grossartiges. Stellen ihre persönliche Bedürfnisse zurück. Danke an Euch tapferen, standhaften Pflegefachleute! Gemeinsam leisten wir dieser Wochen und Monate Unmenschliches! Meine Anerkennung für euch Alle!

Ä guetä Rutsch & blybed xund!

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4 Gedanken zu “Game Over

  1. Ja gell Esther… Nun, so lange war ich ja gar nicht in der Anästhesie 😉 Wenn ich auf der Intensiv war, dann war ich ja komplett dort und leider nie im OP.
    Hoffe du bist gesund und geniesst den Winter!
    liebs Grüessli, susan

  2. Liebe Regula
    Herzlichen Dank für deine Zeilen! Ja, es ist sehr sehr anstrengend. Und da niemand weiss, wann all das vorüber ist, ist es sehr schwierig an dessen Ende oder Besserung zu denken.
    Wenn man eine anspruchsvolle Ausbildung macht, ist das ähnlich Kräfteraubend und Absorbierend. Mit dem Unterschied, dass man weiss, wie lange es dauert und als Lohn hält man dann ein Diplom oder ein einen anderen Abschluss in der Hand.
    Wir wissen nicht wie lange es noch dauert und wie viele Opfer (und damit meine ich nicht nur die Menschenleben) das Virus uns noch abverlangt.

    Blyb Xund,
    Alles Liebi
    susan

  3. Liebe Susan, deine beiden Berichte haben mich sehr bewegt und ich wünsche dir viel Kraft in dieser schweren Zeit. Es ist erschreckend was so ein Virus alles bewirkt und man fast machtlos dagegen ist. Ich hoffe dass bald alle Menschen zur Vernunft kommen und einsehen, dass wir uns an die Vorgaben halten müssen. Ihr als Pflegende erfüllt einen unbezahlbaren Dienst an den Erkrankten, ich hoffe dass man das auch dementsprechend würdigt.
    Liebe Susan, in Gedanken bin ich oft bei dir, wünsche dir alles Gute und heb dir Sorg
    Herzlichst Regula

    Liebe Susan, deine beiden Berichte haben mich sehr bewegt und ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und Mut in deiner so wertvollen Arbeit. Ich hoffe nur, dass bald alle Leute begreifen, dass sie sich an die Empfehlungen halten, nur so bekommen wir die „Seuche“ in den Griff. Für dich hoffe ich, dass du wieder ein wenig zur Ruhe kommen konntest, ichdrücke dir die Daumen und denke an dich.
    Heb Sorg und sei herzlich gegrüsst von Regula

  4. liebi susan, ich mags, wie du schriibsch. äs isch, wie wenn mer direkt involviert isch. mit herz und gfühl. schono speziell, im wiiteschte sinn schaffd mer zämä ä zyt lang, kennt dä name aber nöd dä mänsch. und jetzt hani s gfühl, ich weiss doch scho einiges meh über dich. und das findi schön.
    ich wünsch der wiiters vill chraft, aber vergäss dich sälber nöd. uf äs ganz äs bessers 2021.

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